Testberichte

WeChat: Höchster Komfort mit sehr fragwürdigen Richtlinien

18. April 2014 von Larissa Weigand

WeChat

4.5
(14)

Sie haben noch nie etwas von WeChat gehört? Das verwundert nicht: Zwar nutzen 400 Millionen Menschen die Messenger-App, allerdings sitzen davon 300 Millionen Nutzer in China. Die Tencent Holding Ltd, die die App entwickelt hat, freute sich im August 2013 über 100 Millionen Nutzer außerhalb von China und holte den Fußball-Star Lionel Messi als Werbeikone ins Boot. Mit 18 Sprachen ist die App für mehr als 200 Länder und Regionen erhältlich. Aber lohnt sich die Installation in Hinblick auf Sicherheit und Komfort? Wir haben getestet.

WeChat: Ein bisschen WhatsApp und LINE, ein bisschen Facebook

Wie schon bei LINE und Telegram bekommt WeChat die Verbreitung besser hin als Threema und WhatsApp: Unter iOS, Android, Windows Phone, der Nokia S40-Serie, Symbian und BlackBerry OS 5.0+ können Sie WeChat nutzen. Für den Mac gibt es einen Client, für Windows-/ Linux-Rechner einen Web-Client. Die Installation kann entweder über den jeweiligen App-Store erfolgen oder über die Website von WeChat, auf der auch ein QR-Code zur Installation angeboten wird.

Messenger-Test_2Wie bei allen bisher getesteten Messengern ist die Installation auch bei WeChat denkbar einfach. Folgen Sie den Installationshinweisen Ihres Geräts, führen Sie die Registrierung unter Angabe Ihrer Mobilfunknummer durch und schon können Sie die App in deutscher Sprache nutzen. Kontakte fügen Sie entweder hinzu, indem Sie Ihr Adressbuch durchstöbern lassen, oder Sie verzichten auf diese bequeme Art und suchen datenschutzsicherer über die User-ID.

Als wir WeChat gestartet haben, warteten optisch keine Überraschungen auf uns. Wenn Sie WhatsApp oder andere Messenger kennen, finden Sie sich prima zurecht. Am unteren Rand können Sie zwischen Chats, Kontakten, einer Entdeckungsfunktion, die Ihnen Nutzer in Ihrer Nähe zeigt, und Einstellungen auswählen. In der Chat-Übersicht sehen Sie neue Nachrichten. Eine kleine Besonderheit ist die Tatsache, dass Sie Fotos mit Ihren Freunden liken, teilen und kommentieren können – das erinnert ein bisschen an Facebook und die App LINE.

WeChat ist noch vielseitiger als LINE

Begeistert waren wir von der Funktionalität, die WeChat bietet. LINE war mit Video- und Sprachanrufen, der Messenger-Funktion selbst inklusive Emoticons-, Foto- und Standortversand, Statusmeldungen, dem Versand von käuflich zu erwerbenden Stickern und zusätzlichen Features bereits gut ausgestattet. Darüber hinaus bietet WeChat mit dem Feature „Games!“ Spiele an, Nachrichten können im Entwurfsmodus gespeichert werden und die sogenannte „Look around“-Funktion erlaubt das Finden von WeChat-Nutzern in Ihrer Nähe. Im Heimatland der App, China, ist diese Funktion der Hit. Hierzulande dürften Datenschützer und Nutzer, denen Datenschutz wichtig ist, eher kritisch auf diese Funktion schauen. Zudem gibt es einen Zufallsmodus: Ihnen wird irgendein Chatpartner per Zufall herausgesucht. Dafür schütteln Sie Ihr Telefon und WeChat präsentiert Ihnen einen willkürlich ausgewählten Nutzer, der am anderen Ende der Welt oder direkt in Ihrer Nachbarschaft sitzen könnte und der auch gerade sein Smartphone geschüttelt hat.

Messenger-Test_3Um Ihre Freunde und Kontakte zu einem Gruppenchat einzuladen, können Sie einen QR-Code an bis zu 100 Teilnehmern versenden. Ihre Chat-History können Sie auf Ihrem Gerät für sieben Tage speichern. „Moments“ nennt sich die an Facebook erinnernde Funktion, bei der Sie Fotos öffentlich oder mit bestimmten Freunden teilen können. Wollen Sie Videos und Sprachnachrichten versenden, gelten folgende Beschränkungen: Sprachnachrichten dürfen maximal 60 Sekunden lang und 1 MB groß, Videos maximal 45 Sekunden lang und 20 MB groß sein. Informationen wie diese, außerdem Tutorials, Freunde, Unterhaltung und Infos zu WeChat, finden sich im englischsprachigen WeChat-Forum.

WeChat gehört dem größten Internetunternehmen Chinas

Das Herunterladen und Nutzen von WeChat ist komplett kostenfrei, Stickerpakete kosten, wie schon bei LINE, Geld; hinzu kommt die Option, für die Spiele Erweiterungen zu kaufen. Die App finanziert sich ausschließlich über diese In-App-Käufe. In China können WeChat-User bei McDonalds und anderen großen Ketten über einen gescannten Code bargeldlos bezahlen. Damit ist der Entwickler Tencent im lukrativen Bezahlgeschäft tätig. Aussagen darüber, dass Abomodelle oder andere Bezahlsysteme für die App zukünftig anfallen könnten, haben wir nicht gefunden, sodass davon auszugehen ist, dass die App kostenfrei bleibt. Dafür spricht auch, dass WeChat das Produkt der Tencent Holdings Ltd. ist; dem größten Internetunternehmen der Volksrepublik China mit einer Marktkapitalisierung von knapp 60 Milliarden US-Dollar (Stand: 04/2013).

Das an der Börse von Hong Kong notierte Unternehmen arbeitet in den Bereichen Instant Messaging Service, soziale Netzwerke und Online-Medien, bietet darüber hinaus stationär und im Mobilfunk Online-Mehrwertdienste, Unterhaltung wie Multiplayer-Games, Online-Werbung und E-Commerce. Seit 1998 existiert das Unternehmen und die Messenger-App WeChat startete im Oktober 2010, kam also nicht erst nach der WhatsApp-Übernahme durch Facebook. Schon im Februar 1999 entwickelte das Unternehmen mit OICQ einen Instant Messenger, der später Tencent QQ genannt wurde, um Ähnlichkeiten zum Messenger ICQ zu vermeiden. Aufgrund dieses Produkts stieg das Unternehmen enorm auf.

Verschlüsselung? Fehlanzeige … Datenschutz besser als bei WhatsApp

Messenger-Test_4Alte Nachrichten können Sie mit der integrierten Suchfunktion ausfindig machen – Ihre Nachrichten sind verschlüsselt auf Ihrem Gerät gespeichert. Für diese lokale Datenverschlüsselung setzt WeChat auf SQLCipher. Auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verzichtet WeChat allerdings, genauso wie auf das Veröffentlichen des Quellcodes. Die AGB und Datenschutzrichtlinien sind nicht in deutscher Sprache verfügbar und sehen vor, dass Tencent auf Aufforderung der chinesischen Regierung Informationen herausgeben darf bzw. muss. Welchen Umfang diese Informationen haben, ist unklar. Weiter erlaubt sich Tencent, die AGB jederzeit ohne vorherige Mitteilung an den Nutzer zu ändern. Anders bei den Datenschutzrichtlinien: WeChat weist ausdrücklich darauf hin, dass Änderungen dem Nutzer vor dem Inkrafttreten auf wechat.com, in direkter Kommunikation oder auf anderem Wege mitgeteilt werden.

Positiv zu erwähnen bleibt, dass Sie die Datenschutzeinstellungen selbst in der Hand haben: In den Einstellungen haben Sie die Möglichkeit, Optionen für das Aufspüren durch Adressbücher, die Blockierliste und das Feature „Moments“ auszuwählen. Sie können das Durchstöbern Ihres Adressbuchs unterbinden, können einstellen, dass andere Sie nicht mit dieser Funktion finden, und Sie können Ihre „Moments“ nur einem bestimmten Kreis mitteilen. WeChat-Nutzer, die nicht unter Ihren Kontakten sind, können Ihre Telefonnummer nicht sehen. Ihre Identität können Sie auch vor Ihren Kontakten verbergen und nur mit der WeChat-ID oder der QR Name Card in Erscheinung treten.

Was ist dran an den Zensurvorwürfen?

Sicherheitsprobleme sind bei WeChat bislang nicht bekannt geworden. Aber es gibt Zensurvorwürfe, die das Unternehmen zurückgewiesen hat: Tencent sprach von technischen Problemen; man habe keine bestimmten Chatinhalte gefiltert, es hätte lediglich Probleme mit der Übertragung gegeben. Diese Vorwürfe begannen Anfang 2013 und lebten Anfang 2014 erneut auf: Wieder berichtet der Spiegel über Zensurvorwürfe gegen die Messenger-App. Wieder wehrte sich Tencent, diesmal mit der Begründung, Pornografie, Gerüchte und Gewaltdarstellungen wolle man unterbinden.

Messenger-Test_5Einen Jugendfilter als solchen gibt es nicht, wohl aber offenbar einen Wortfilter: Glaubt man den oben verlinkten SPON-Berichten, landen Nachrichten mit bestimmten Wörtern im Messenger-Nirwana und werden nicht zugestellt. Laut SPON sei es dafür aber nötig, chinesische Originalwörter zu verwenden, sodass das Nutzer unserer Breitengrade eher nicht treffen dürfte. Die Server von WeChat stehen ausschließlich in China, was das Zensurproblem verschärft. Auch die Nachvollziehbarkeit bezüglich des Datenschutzes wird dadurch nicht leichter: Wenn Sie WeChat verlassen wollen, müssen Sie erst die App deinstallieren. Anschließend wird eine E-Mail an den Support nötig, die die Bitte enthält, Ihren Account zu löschen. Wenn Sie diese Option nutzen wollen, mailen Sie an und CC an .  Einerseits ist in den AGB die Regelung enthalten, dass User-Content nicht an Dritte weitergegeben oder -verkauft wird. Andererseits erlauben Sie WeChat durch die Nutzung, Ihre Inhalte durch Tencent und seinen Partnern zur Entwicklung und Optimierung eigener Services zu nutzen. Außerdem erlauben Sie, dass Ihre Inhalte für Tencent und seine Partner kopiert, reproduziert, gehostet, gespeichert, verarbeitet, angepasst, verändert, übersetzt, verbreitet und weltweit veröffentlicht werden dürfen – in sämtlichen bereits existierenden Medien sowie in allen künftig entstehenden.

Die auf XMPP verzichtende App WeChat schneidet bei ihrer Funktionalität und Bedienbarkeit außerordentlich gut ab! Aber wie unsere bisherigen Tests schon zeigten, klafft durch ein Plus an Funktionalität eine riesige Lücke in Richtung Sicherheit: Verschlüsselt wird ausschließlich auf dem Device, wahrscheinlich werden Inhalte gefiltert und User-Content darf zwar nicht verkauft, wohl aber verwendet werden. Anwender, denen Sicherheit unwichtig ist, finden in WeChat eine außerordentlich umfangreiche, plattformübergreifende App – mit hoher Wahrscheinlichkeit werden solche Anwender allerdings nicht oft mit ihren Freunden chatten, denn noch ist die App europaweit nicht stark verbreitet. Für sicherheitsbewusste Anwender ist WeChat letztlich genauso desaströs wie WhatsApp, wenngleich man noch mehr Datenschutzeinstellungen selbst vornehmen kann.

Zusammenfassung WeChat

  • Verbreitung: alle gängigen Mobilsysteme, Mac & Web-Client
  • Einschränkungen: keine
  • Installation: einfach
  • Kontakte rüberziehen: einfach
  • Optik/ Bedienbarkeit: ansprechend & einfach, erinnert an eine Mischung aus WhatsApp und Facebook
  • Flexibilität: Fotos keine Beschränkungen (werden ggf. Herunterskaliert), Sprachnachrichten max. 60 Sek. Lang und 1 MB groß, Videos max. 45 Sek. Lang und 20 MB groß
  • Kosten: kostenfrei, In-App-Käufe möglich
  • Orga/ Land hinter dem Service: Tencent Holdings Ltd., China
  • Verschlüsselung: ausschließlich lokale Datenverschlüsselung mit SQLCipher
  • Quellcode: nicht quelloffen
  • Datenschutz: nicht in deutscher Sprache verfügbar, intransparent, Anzeigen der eigenen Telefonnummer und Durchsuchen des Telefonbuchs können unterbunden werden
  • AGB: nicht in deutscher Sprache verfügbar, intransparent
  • Zuverlässigkeit: unklar, ob Zensur oder technische Probleme stattgefunden haben
  • Sicherheitsprobleme: keine
  • Jugendfilter: nicht vorhanden
  • Datenspeicherung: auf chinesischen Servern, ob nach dem Löschen des Accounts auch die Daten auf den Servern gelöscht werden, ist unklar
  • XMPP: nein
  • Finanzierung: durch In-App-Käufe (Stickerpakete & Zubehör in den Games)

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